Brüder

Eine Zeit lang arbeitete ich mit einer kleinen Gruppe von Kindern auf einer offenen Diele, wo uns jeder zuschauen konnte. Mir fielen zwei Jungs auf, die ab und zu an uns vorbei gingen, die aber keinesfalls wie potentielle Webinteressierte aussahen. Sie wirkten ein wenig wie Halbstarke. Der eine trug ständig eine Mütze tief über den Kopf gezogen, der andere hatte schwarz-hellblond gescheckte Haare. Das waren die Brüder Norman und René. Eines Tages trat Norman auf mich zu und fragte: „Was muss man tun, damit man bei ihnen weben darf?“ Ich fragte: „Was möchtest du denn weben?“, weil ich vermutete, er wolle eine bei den Jungs seines Schlages so beliebte Fußballfahne anfertigen. Mit einer fast verschwörerisch wirkenden Miene antwortete er: „Mein Bruder und ich wollen für jemanden ein Geschenk machen“. Ich versicherte ihm, dass ich beiden einen Platz reserviere, wenn die Gruppe wieder zum Weben zusammen kommt. Am Tag darauf traf ich Norman, und er kam wieder zu mir: „Ist es auch ganz sicher, dass wir beide weben dürfen? Müssen wir etwas dafür bezahlen? Können sie es so einrichten, dass unsere Mutter nicht sieht, dass wir weben?“    Er sagte, dass beide eine Tasche machen möchten, jeder eine andere.

Ich setzte die Brüder dann in eine unauffällige Ecke, erklärte ihnen die Technik und sagte, dass man für eine Tasche eine Stunde lang sehr zügig und ohne Pause weben muss. Da die Jungs schon größer waren, etwa zwölf und dreizehn Jahre alt, war das Weben kein Problem für sie. Sie arbeiteten eifrig und vertieft, beratschlagten eifrig, welche Farben die Mutter gern hat, und nach einer Stunde hatte jeder das Ergebnis, das er sich vorgenommen hatte. Später erzählte mir jemand, dass die Mutter der Brüder krank ist, und dass alle Mitarbeiter der Klinik gerührt davon waren, wie besorgt und liebevoll die beiden Jungs sich um ihre Mutter kümmern – Jungs, von denen man das auf den ersten Blick nie vermutet hätte.

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