Weben als Therapie

In meiner Arbeitsstelle wurde ein körperbehindertes Kind zum therapeutischen Weben angemeldet, Maria. Ein zartes, feines Mädchen mit langen blonden Engelshaaren und einem sanften Gesichtsausdruck. Sieben Jahre alt. Sie bewegte sich leicht hinkend und sehr tapfer mit ihrer kleinen Schiene am Bein.

Ich dachte: Damit ich mich ihr besonders widmen kann, werde ich ihr nur Einzelstunden geben. Beim Weben merkte ich, dass sie bereits gut therapiert worden sein muss, denn sie arbeitete aktiv mit, benutzte die rechte Hand gezielt als „Hilfshand“. Die Hand konnte die Webnadel schwach greifen und anschieben, aber es fiel ihr schwer, sie gerade zu führen.   Sie war still und wirkte ein wenig traurig auf mich. Ich wollte ein Gespräch anknüpfen. Ich fragte sie, ob es ihr hier gefällt. Sie sagte: „Das hast du mich voriges mal auch gefragt!“. Ich war verlegen und fragte weiter: „Hast du zu Hause Haustiere?“ Sie sagte: „Das hast du auch letztes mal gefragt!“ 

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen: Ich behandele das sowieso schon oft therapierte Kind wie eine Therapeutin. Sie merkt das, und sie machte es mir klar.  Den nächsten Termin gab ich ihr mit einem anderen Mädchen zusammen. Ich behandelte sie wie ein Kind unter Gleichen, die alle, jeder auf seine Art, etwas Schönes herstellen. Ich gab ihr nur die nötigsten Hilfestellungen, und siehe da – sie war viel selbständiger. Sie kam dann noch einmal, diesmal sogar mit zwei Kindern zusammen. Ich merkte, dass sie sich freier und unbefangener fühlt.  Als ich sie fragte, was sie noch machen möchte, sagte sie, sie wüsste es nicht. Auf einmal war deutlich zu sehen, wie sie sich innerlich einen Ruck gibt,  ihre Schüchternheit überwindet, und sie sagte: „Oder ob ich auch eine Tasche machen kann?“ Selbstverständlich bekam sie noch eine wunderschöne Tasche fertig. Ihre Mutter erzählte, dass Maria sich um die Gestaltung der Tasche viele Gedanken gemacht hatte. Und dass sie sehr stolz wäre, dass sie dieses Ziel, das sie kaum für möglich gehalten hatte, erreicht hat. Ich habe von Maria eine Lehre erhalten: Nicht in diesen gewohnheits-  therapeutenmäßigen Ton verfallen. Der ein wenig vom Mitleid getragen ist, aber dem Kind nicht gerecht wird.  Gerade den behinderten Kindern das Gefühl geben, dass sie „gleich unter Gleichen“ sind, wo jedes seine besondere Art hat und in seiner besonderen Art respektiert wird.   

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